Zwischen Ökobilanz und Kostenfrage

Von Susanne Risius-Hartwig – Erschienen in der Ems-Zeitung vom 22.09.2015

JĂ€hrlich wandern in Deutschland drei Milliarden Einmal-Windeln in den HausmĂŒll. Jede Einzelne benötigt mehr als 200 Jahre, um vollstĂ€ndig abgebaut zu werden. Stoffwindeln können Abhilfe schaffen und sie „mĂŒffeln“ auch weniger als die Wegwerf-Variante, heißt es oft. Aber ist das wirklich so und wie praktisch sind die modernen Wickelsysteme? Wir haben nachgefragt. Roswitha Nee aus Papenburg ist ausgebildete Familienhebamme mit 23 Jahren Berufserfahrung. Sie sagt: „Ich hatte zeitgleich zwei Wickelkinder, habe mit Stoffwindeln gewickelt und kam mit der kleinsten MĂŒlltonne aus.“ Ohne ihren familiĂ€ren Background wĂ€re das aber nicht möglich gewesen, denn der Aufwand sei schon grĂ¶ĂŸer als bei Wegwerfwindeln.

Als Hebamme fĂŒhrt Nee in der Pestalozzistraße mit zwei Kolleginnen die Papenburger Hebammenpraxis, in der Beratung, Akupunktur, Homöopathie und verschiedene Kurse fĂŒr Mutter, Vater und Kind angeboten werden. Ihrer EinschĂ€tzung nach war die Verwendung von Stoffwindeln im nördlichen Emsland vor 20 Jahren schon einmal populĂ€rer. „Als vor etwa fĂŒnf Jahren die Diskussion aufkam, das die ErwĂ€rmung des mĂ€nnlichen Hodens in der Einwegwindel zu hoch sei und dies etwas mit der vermehrten Unfruchtbarkeit der jungen Paare zu tun hat, erlebte die Stoffwindel ihre letzte Renaissance,“ erinnert sich die Papenburgerin. Derzeit liege der Anteil der waschbaren Windeln bei geschĂ€tzt unter drei Prozent.

Ob sich der Aufwand rechnerisch lohnt, durch Waschen und Trocknen, den Preis von Wasser, Strom und Arbeitszeit, sei nicht so einfach zu beantworten. Aber es gebe andere Vorteile, betont Nee: „Kinder, die mit Stoffwindeln gewickelt werden, sind eher trocken, da sie spĂŒren, wenn die Hose feucht ist.“ Auch der MĂŒll sei eben wesentlich weniger, da das Fließ, das in die Windel gelegt wird und mit den Stuhlresten weggeworfen wird, verrottet. „Das Plastik der Einmalwindel bleibt ewig bestehen. Man muss sich eben entscheiden, sollte aber den MĂŒllberg auch in Betracht ziehen,“ so die Hebamme.

Eines aber ist laut Nee völlig klar: „Der Geruch ist der Gleiche. Alle Kinder, die die Hose voll haben, riechen je nach Mahlzeit oder in der Zahnungszeit unterschiedlich stark. Das lĂ€sst sich nicht aufhalten.“

Ein Teil der Eltern, die mit Stoffwindeln wickeln, handeln nicht aus Umweltbewusstsein, sondern aus gesundheitlichen GrĂŒnden. Denn es gibt Kinder, die auf Einmalwindeln allergisch reagieren. Nee: „Das liegt an den verschiedensten Arten der Begasung, wodurch das Material dazu gebracht wird, die Feuchtigkeit schnell vom Kind wegzuziehen. Auch unterschiedliche Materialien verursachen Wundheit.“ Wenn man bedenke, dass die Haut der Kleinstkinder einen sehr hohen Wasseranteil habe und dadurch alle DĂŒfte, Seifen und Farbstoffe aufnehme, sei die Devise „weniger ist mehr“ sehr sinnvoll. Auch die Anschaffung von Stoffwindeln ist mit Kosten verbunden. Katrin Pieper fĂŒhrt in ihrem Kinderbedarfs- Laden am Papenburger Obenende ein dreiteiliges Stoffwindelsystem. FĂŒr eine komplette Erstausstattung muss die Familie etwa 300 Euro einplanen. Es ist aber auch möglich, kleiner anzufangen und den Umgang erst einmal mit einer Mini-Ausstattung zu erproben. Realistisch sei auch eine kombinierte Nutzung von Wegwerfwindeln unterwegs und Stoffwindeln zu Hause. Die Stoffwindel bedeute schon einen Mehraufwand und darum falle die Handhabung „den Kunden am leichtesten, die sofort mit der Stoffwindel anfangen“, hat sie beobachtet. Vor ihrem Umzug nach Papenburg hat Pieper in SĂŒddeutschland gelebt. Dort gibt es in einigen Kommunen finanzielle UnterstĂŒtzung beim Kauf von Stoffwindeln.

Gibt es das im Emsland auch? Wir fragten nach beim Landkreis Emsland in Meppen, der fĂŒr die DurchfĂŒhrung des Abfallrechts zustĂ€ndig ist. Der Abfallwirtschaftsbetrieb ist seit seiner GrĂŒndung 1996 ein kommunaler Eigenbetrieb des Landkreises. Wie die Pressesprecherin mitteilte, existieren bei uns keine VergĂŒnstigungen oder ZuschĂŒsse. Es habe in der Vergangenheit auch keine politischen VorstĂ¶ĂŸe im Kreistag zu einer solchen Überlegung gegeben, so Anja Rohde. Der zustĂ€ndige Dezernent, Dirk Kopmeyer, antwortete auf die Frage nach seiner EinschĂ€tzung des Themas MĂŒllvermeidung durch Stoffwindel zurĂŒckhaltend: „Es gilt zu berĂŒcksichtigen, dass es durch die Verwendung von Stoffwindeln zu einem erhöhten Wasser- und Energieverbrauch kommt. Auch die potenzielle Belastung durch Abwasserbeseitigung und die Reinigung des Wassers in KlĂ€rwerken sind in die AbwĂ€gung mit einzubeziehen, sodass die Verwendung von Stoffwindeln keine uneingeschrĂ€nkt positive ökologische Bilanz zulĂ€sst.“ Ein Windelservice, der viele Windeln mit schonenden Mitteln wĂ€scht, könnte da vielleicht die Lösung sein. In MĂŒnchen gibt es eine solche Firma, die Windeln energieeffizient in einer Großwaschstraße reinigt und anschließend mit einem Biogas-Auto wieder ausliefert. In der FlĂ€chenregion Emsland mit den weiten Wegen und den hohen Transportkosten wĂ€re ein solcher Dienst wohl nicht wirtschaftlich fĂŒhrbar.

Bleibt den Familien also nur, das Fließ in den RestmĂŒll zu entsorgen und die Stoffwindeln in der eigenen Maschine zu waschen. Karolin Backers aus Papenburg macht das seit einiger Zeit aus Überzeugung. Alle zwei bis drei Tage hat sie eine Waschmaschinenladung mit 60 Grad-WeißwĂ€sche. Sie wundert sich, dass die Ökobilanz der Stoffwindel in der Öffentlichkeit nicht besser wegkommt: „Gerade beim zweiten Kind einer Familie, das die Baumwollwindeln nutzt und bei einer Vermeidung des Trockners mĂŒsste die Bilanz besser ausfallen.“ Die Anschaffung sei erst einmal teuer, mache sich aber im Laufe der Monate bezahlt. Es ist ihrer Erfahrung nach auch möglich, Teile der Wickelsysteme weiter zu verkaufen. Etwas skeptisch sei sie zunĂ€chst gewesen, ob sich die Kinder mit der etwas dickeren Stoffwindel genauso gut bewegen können. Diese Sorge sei aber unbegrĂŒndet gewesen.

Mehr Information rund um das Thema Windel unter www.naturwindeln.de. Den nachdenklichen Beitrag einer Journalistin und Mutter, der vor zwei Jahren anlĂ€sslich eines arte Themenabends gezeigt wurde, findet man unter couchorama – wickeln, windeln, wegwerfen

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